Am Morgen des 12. August 1944 rückten SS-Einheiten aus vier verschiedenen Richtungen auf das nordtoskanische Bergdorf Sant’Anna di Stazzema vor. Mit Maschinengewehren und Handgranaten töteten sie in wenigen Stunden rund 560 Zivilisten in Höfen und auf dem Kirchplatz. Die meisten von ihnen Frauen und Kinder.
Das jüngste, Anna Pardini, war 20 Tage alt.
Am 25. April jährt sich die Befreiung von Besatzung und Faschismus. Ein gesetzlicher Feiertag in Italien. Auf der Gedenkveranstaltung in Sant’Anna di Stazzema trug Ilaria Cipriani am 25. April 2017 ihr Gedicht vor, dessen Übersetzung TV3 hier veröffentlicht.
Beitragsbild: Kranzniederlegung am Tag der Befreiung
Bild oben: Das Mahnmal in Sant’Anna
Bild unten: Die Autorin von “SENZA CAPIRE”: Ilaria Cipriani
Ohne zu verstehen
Sie haben entdeckt
das Aufblitzen der Schüsse
mit süßen runden Augen
aufgerissen im Gelb
des Blütenstaubes.
Sie haben gehört
den Klang des Schreckens
mit den Blütenblättern der Ohren
aus Samt – zerrissen
unter schneidenden Klängen
Sie haben geschnuppert
den grauen schmutzigen Geruch
des üblen Rauches
mit den zarten Stengeln
zitternd in der Luft.
Ohne zu verstehen…
Ohne zu verstehen…
Leuchtende Tränen der Sonne auf den Gewehren
Eiskristalle auf den verschwitzten Stirnen
Tropfen der Angst in den nassen Augen
Und sie …
Sie haben gemalt
Nuancen von Farbtönen
auf eine sonnige Landschaft
verblasst hinter dem Weiß
der kalten Angst.
Sie haben verstreut
den Duft von Honig
In bebende Nasen
erkältet von Tränen
an einem Sommertag.
Sie haben beobachtet
die unruhigen Schatten
der Füße von Kindern
verschlungen im Aufschrei
auf den Rücken der Mütter.
Ohne zu verstehen…
Ohne zu verstehen…
Bitten aus der Tiefe der Kehle gestammelt
Vergebliches Flehen auf die Erde erbrochen
Flammendes Jammern der Hölle entwendet
Und sie..
Sie haben angedeutet
das Wanken des Alters
in allzu ängstlichen Schritten
eines müden Stockes
flehend im Holz.
Sie haben gehört
den Wind von Flammen
in harten Böen
in den Trümmern des Dorfes
zerrissen in der Zeit
Sie haben wahrgenommen
das schwere Kratzen
der Eisensohlen
auf der Erde erwärmt
von der verdunkelten Sonne
Ohne zu verstehen…
Ohne zu verstehen…
Seelen im Blau des Himmels versprüht
Spritzer von Rot im Feuer verdampft
Asche des Fleisches unter Hundepfoten
Und sie…
Sie haben geschmückt
die Haare der Kinder
auf der Wiese gewälzt
um Farbe zu verleihen
jener Todesfinsternis
Sie haben getrunken
lange Klingen von Blut
ins Gras gestochen
aufgelöst zwischen den Schollen
im Gegenteil von Knospen
Sie haben gefunden
eine zerrissene Ruhe
Blütenkronen schließend
im röchelnden Schlaf
eines absurden Massakers.
Hier,
in Sant´Anna.
Ohne zu verstehen…
Ohne zu verstehen…
Unglückliche Blumen, gebrochen
auf dem Schlachtfeld
der Sinnlosigkeit.
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Autorin: Ilaria Cipriani (Italienischer Originaltext) – siehe Foto 2
Übersetzt ins Deutsche: Nella Prati und Fritz Thiem
Eingangstext: Jürgen Weber
Fotos © : Roswitha Bosch