Die Stadt Singen trauert um ihren Ehrenbürger Wilhelm Josef Waibel, der am vergangenen Wochenende im Alter von 89 Jahren verstorben ist.
Oberbürgermeister Bernd Häusler würdigte Wilhelm Waibel als überzeugten Brückenbauer und unbestechlichen Chronisten auch der schmerzhaften Kapitel Singener Stadtgeschichte.
Häusler erinnerte daran, dass der gebürtige Singener zeitlebens ein zutiefst politischer Mensch gewesen sei, der sich in die politischen Diskussionen mit Beharrlichkeit und Leidenschaft einbrachte. So vertrat Waibel als Vorsitzender der „Anliegergemeinschaft Bruderhofstraße/ Bruderhofgebiet“ viele Jahre die Interessen dieses Stadtteils engagiert und konstruktiv und wirkte so erfolgreich in der Singener Stadtpolitik hinein.
Schon früh hob Waibel das weitestgehend unbeachtete Kapitel der von den Nationalsozialisten zur Arbeit in Singener Betrieben gepressten Zwangsarbeiter aus der Vergessenheit hervor. Seine Nachforschungen nach Überlebenden und Hinterbliebenen führten ihn noch während des Sowjetregimes in das Gebiet Poltawa mit der Stadt Kobeljaky in der Ukraine. Dem anfänglichen Misstrauen zum Trotz konnte Waibel bei den Menschen die Hoffnung nach einer Geste der Wiedergutmachung und Unterstützung in ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage erwecken. Erst mit Waibels Hilfe waren Überlebende nach vielen Jahrzehnten in der Lage, ihre Gefangenschaft in Singen nachzuweisen und somit eine bescheidene Zahlung aus einem von Deutschland aufgelegten Entschädigungsfonds zu erhalten. Ebenso wurden etliche Vermisstenschicksale aufgeklärt und den Hinterbliebenen nach Jahrzehnten endlich Gewissheit verschafft werden. Aber auch zahlreiche Angehörige deutscher Soldaten, die während des Zweiten Weltkrieges bei den Kampfhandlungen im Raum Poltawa fielen, konnten durch die Informationen und Kontakte Waibels die letzten Ruhestätten ihrer Toten ausfindig machen.
Dabei beließ es Waibel aber nicht. Es entstand in Singen ein Netzwerk hilfreicher Menschen und Initiativen, die trotz bürokratischer Hemmnisse dazu beitrugen, über den Kreis der ehemaligen Zwangsarbeiter hinaus die Not alter und kranker Menschen in diesem Landstrich zu verbessern. Dieses Wirken führte letztlich im Jahr 1993 zum Abschluss des Partnerschaftsvertrages zwischen der Stadt Singen und der Stadt sowie dem Kreis Kobeljaky – eine kommunale Partnerschaft, die Wilhelm Waibel als Partnerschaftsbeauftragter bis ins Jahr 2007 hinein begleitete. Für den Singener Oberbürgermeister steht fest: „Ohne Wilhelm Waibel gäbe es diese Städtepartnerschaft nicht“.
Ein weiterer zentraler Fixpunkt in Waibels Leben war das Lager deutscher Kriegsgefangener, das unter französischem Kommando an der Stelle eines aufgelösten Zwangsarbeiterlagers errichtet wurde. Vor allem die unter Anregung des Lagerkommandanten von den Gefangenen errichtete Theresienkapelle stand für ihn für die Zuversicht, dass ein besseres Verständnis zwischen den Völkern möglich sei.
Es ist maßgeblich Wilhelm Waibel zu verdanken, dass die geschichtliche Bedeutung des Gotteshauses erkannt und dieses letztlich unter Denkmalschutz gestellt wurde. Heute hat die Theresienkapelle als Gedenkstätte und Mahnmal einen festen Platz in der Erinnerungsarbeit Singens und darüber hinaus. Der „Förderverein Theresienkapelle“, dessen Ehrenmitglied Waibel war, kümmert sich gemeinsam mit der Stadt um den Erhalt des Gebäudes und führt die Geschichtsarbeit im Sinne Wilhelm Waibels auch in Zukunft fort.
„Wilhelm Waibel hat mit seiner geschichtlichen Aufarbeitung den Schrecken und die Folgen des nationalsozialistischen Gewaltregimes in unserer Stadt dokumentiert und damit für uns greifbarer gemacht. Gerade in den heutigen Zeiten erkennen wir, wie ungemein wertvoll dieses Wissen für die nachfolgenden Generationen sein kann. Dafür sind wir ihm zutiefst dankbar“, schließt OB Häusler.
In Würdigung seiner Lebensleistung verlieh die Stadt Singen Wilhelm Waibel 2016 das Ehrenbürgerrecht.
Bildunterschrift:
Im Namen der Stadt Singen wird Wilhelm Waibel das Ehrenbürgerrecht von Oberbürgermeister Bernd Häusler beim Neujahrsempfang 2016 verliehen.
Foto: © Stadt Singen