Medienmitteilung

2. Oktober 2022 bis 16. April 2023 Kunstmuseum Thurgau
Eine Ausstellung von Katrin Luchsinger, Kunsthistorikerin, und Stefanie Hoch, Kuratorin Kunstmuseum Thurgau.

Das Ausstellungs- und Buchprojekt “Hinter Mauern – Fotografie in psychiatrischen Einrichtungen von 1880 bis 1935” zeigt historische Fotografien aus zehn psychiatrischen Einrichtungen der Schweiz. Glasdias, Papierabzüge und Fotoalben gewähren sowohl Einblick in die Zeit der Modernisierung dieser Einrichtungen, als auch in die Geschichte der Fotografie. Psychiaterinnen und Psychiater setzten das damals neue Medium ein, um Diagnosen zu stellen, aber auch als Kommunikationsmittel, um der Öffentlichkeit ausgewählte Einblicke in das Leben hinter Anstaltsmauern zu geben. Mit zunehmend handlicheren Kameras entstanden ausserdem überraschende Motive von kreativen Freiräumen. Die Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau läuft von 2. Oktober 2022 bis 16. April 2023.

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts eigneten sich Psychiater und Psychiaterinnen das neue Bildmedium der Fotografie an, denn es versprach, naturgetreu abzubilden, was sich vor dem Objektiv befand. Daher haben sich in vielen Kliniken Bestände von Glasdiapositiven, Fotoabzügen und Fotoalben erhalten, die bisher noch nie untersucht wurden. Die Diapositive, die in der Ausstellung hauptsächlich in Form von grossen Papierabzügen präsentiert sind, wurden bei Lichtbildvorträgen vor Kollegen oder dem Pflegepersonal eingesetzt, manche Bilder in der Fachliteratur veröffentlicht. 
Aber was sollte anhand der Porträts der Betroffenen erkennbar werden? Über die Vermutung, eine “Geisteskrankheit” zeige sich an äusseren Merkmalen wurde an der Schwelle zum 20. Jahrhundert viel diskutiert. Heute wird vielmehr die Aufnahmesituation erkenntlich und die Rolle, wie die Fotografie damals in der Diagnostik eingesetzt wurde. Es waren “gestohlene” Bilder.
 Andere Aufnahmen liessen die Kliniken von professionellen Studios aufnehmen. Sie sollten der Öffentlichkeit ein Vertrauen erweckendes Bild vom Leben in einer Anstalt vermitteln, das ja weitestgehend “hinter Mauern”, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Auf diesen Bildern sind saubere, helle Innenräume, gepflegte Parkanlagen und arbeitende Patientinnen oder Patienten zu sehen. 
Eine dritte Gruppe zeigt die bescheidenen Abwechslungen wie Tanzanlässe, Jahrmärkte, Zirkus oder Theateraufführungen, die das monotone Leben in der Anstalt auflockerten. Mit Feuereifer organisierte beispielsweise Hermann Rorschach in Münsterlingen und Herisau solche Anlässe. Die Psychiaterin Marie von Ries-Imchanitzky, eine Assistenzärztin in der Waldau bei Bern, fotografiert selbstbewusst sich und ihre Abteilung und auch künstlerische Aktivitäten der Patienten wie den zeichnenden Adolf Wölfli. 
Die Bildkonvolute zeigen eine Verhandlung über die Grenzen der Normalität. Es ist wichtig, sie zu erhalten und zu zeigen, denn sie stellen einen Fundus an Wissen dar: über die Psychiatrie jener Zeit, darüber, wie sich die Wissenschaft des neuen visuellen Mediums bediente – und wie prekär dieses Wissen war und heute noch ist. Die Bestände visualisieren Mechanismen des Ein­ und Ausschliessens. Die Ausstellung gibt Gelegenheit, sich mit diesen Mechanismen auseinanderzusetzen.

Ein Ausstellungsprojekt von der Kunsthistorikerin Prof. Dr. Katrin Luchsinger und dem Kunstmuseum Thurgau.

Laufzeiten:
Von 24. März bis 31. Juli 2022 war die Ausstellung in der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg zu sehen.
Das Kunstmuseum Thurgau präsentiert die Ausstellung von 2. Oktober 2022 bis 16. April 2023. Ab 26. Mai 2023
bis April 2024 wird sie im Psychiatrie-Museum Bern gezeigt.

Publikation:
“Hinter Mauern. Fotografie in psychiatrischen Einrichtungen 1880–1935”, hrsg. von Katrin Luchsinger und Stefanie Hoch, gestaltet von Urs Stuber, deutsch-englisch, mit Beiträgen von Urs Germann, Stefanie Hoch, Markus Landert, Katrin Luchsinger, Sabine Münzenmaier und Martina Wernli, Zürich, Scheidegger & Spiess, 2022, Preis: Fr. 45.00
Leihgeber:

Psychiatrie-Museum Bern
Die Staatsarchive des Kantons Bern und des Kantons Thurgau
Stadtarchiv Schaffhausen
Universitätsarchiv Tübingen, Nachlass Sanatorium Bellevue, Kreuzlingen
Institut für Medizingeschichte der Universität Bern, Archiv Hermann Rorschach

Die Publikation wurde unterstützt von:
Ulrico Hoepli-Stiftung
Ernst Göhner Stiftung
Stiftung Dr. Julius von Ries
Dr. Heinrich Mezger-Stiftung
Burgergemeinde Bern

Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:
Mittwoch, 5. Oktober 2022, 17.15 bis 18.30 Uhr
Einführung für Lehrpersonen und Interessierte in die Ausstellung
“Hinter Mauern – Fotografie in psychiatrischen Einrichtungen von 1880 bis 1935”

Dienstag, 22. November 2022, 19 Uhr
Der Einsatz von Fotografie in der Psychiatrie um 1900
Vortrag von Dr. Katrin Luchsinger

Donnerstag, 9. Februar 2023, 19 Uhr
Psychiater hinter der Kamera. Marie von Ries-Imchanitzky und Hermann Rorschach
Vortrag von PD Dr. Martina Wernli und Kuratorin Stefanie Hoch

Dienstag, 21. März 2023, 19 Uhr
Vom Spiel zwischen Kunst und Therapie
Vortrag von Kuratorin Stefanie Hoch

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:
cornelia.mechler@tg.ch

Kartause Ittingen – Kunst und Geschichte erleben
Das Ittinger Museum und das Kunstmuseum Thurgau bilden den Kern des Seminar- und Kulturzentrums Kartause Ittingen. Im idyllisch gelegenen ehemaligen Kloster bei Frauenfeld lebten während Jahrhunderten Mönchsgemeinschaften. 1977 wurde die weitläufige Anlage durch die eigens gegründete privatrechtliche Stiftung Kartause Ittingen erworben, restauriert und mit der Unterstützung von Partnern einer neuen Nutzung zugeführt. Das Betriebskonzept orientiert sich an den klösterlichen Werten Gastfreundschaft, Spiritualität, Selbstversorgung, Fürsorge und Kultur.

Weitere Informationen finden Sie unter www.kunstmuseum.tg.ch.

Beitragsbild /Bildunterschrift:
Kantonale Irrenanstalt Waldau, Bern (Detail), undatiert,
Glasdia Psychiatrie-Museum Bern K11-037

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